Sarwar Abdula

Sarwar Abdula

WIE GEHT´S, WIE STEHT´S?!

Wir schauen in die Feuerschale. Das Holz schlägt Funken und knistert. Sarwar Abdula arbeitet seit dem Sommer 2022 als Küster in der evangelischen Gemeinde Bergisch Neukirchen. Es ist bitterkalt an diesem Abend. Der Küster hat mich in den Garten hinter dem Pfarrhaus eingeladen und ein Feuer gemacht. „Das erinnert mich an meine Heimat Kurdistan. Dort habe ich meine Lieben immer gerne um ein Feuer versammelt. Das habe ich mir bewahrt. Wenn ich jemand mit Herz begegnen und kennenlernen möchte, dann lade ich ihn ans Feuer ein.“ Wir sitzen auf Plastikstühlen und prosten uns mit einer Flasche Bier zu. Mich fliegen in diesem Moment ganz viele Bilder an. Das kommt nicht von ungefähr, denn aufgefallen ist mir Sarwar Abdula als Kameramann. Wie ein Wirbelwind fegte er an einem heißen Sommertag mit seiner Kamera durch die Arena im Neulandpark. Mit großer Freundlichkeit ging er auf das Publikum zu, schoss niemanden mit seiner Kamera ab, tauchte hier und dort auf, war überall gern gesehen. Ich war beeindruckt von seiner empathischen Arbeitsweise. Am Ende der Veranstaltung sprachen wir. Es sei mit dem Flüchtlingsstrom 2015 aus dem Irak gekommen. Dort habe er 13 Jahre als Filmer und Beamter für die kurdische Autonomiebehörde gearbeitet. Bis zu dem Zeitpunkt, als der IS auch in die Region Kurdistan-Irak vorgedrungen sei. Abdula, seiner Frau und seinen beiden Söhnen blieb nur die Flucht.

„In unsere Heimat konnten wir nicht zurück. Dort wütete der IS und ich spreche nicht nur von Prügeln, die einem aufgrund des Tragens von weißen Socken erteilt werden.“ Ein Funke springt aus der Schale hoch und verpufft gleich wieder. Sarwar Abdula spielt auf eine Situation an, die er als Jugendlicher erlebt hat. Er hatte morgens nicht weiter über seine Kleiderwahl nachgedacht und zu weißen Socken gegriffen. Als er am späten Nachmittag mit Freunden aus dem Kino kam, wurde er von Polizisten übel zusammengeschlagen. Es war die Zeit des Iran-Irak-Krieges, in dem tausende Soldaten fielen. Es war offizielle Trauer angesagt und die Farbe Weiß stand dort für Glück. Dies sei ein traumatisches Erlebnis gewesen, fortan sei er immer auf der Hut gewesen. „Das hat uns nicht davon abgehalten, gegen Unrecht und Unterdrückung zu kämpfen. Mit der Kamera. Wir haben alles gefilmt und das Leben im autonomen Kurdistan dokumentiert. Aber nicht nur das. Ich bin auch in die Türkei gereist, um dort auf die drohende Zerstörung uralter Kulturdenkmäler aufmerksam zu machen.“ Die Rede ist von Hasankeyf. Diese Siedlung gehörte zu den ältesten menschlichen Siedlungen in Mesopotamien. Weltweit rührte sich Protest gegen das gigantische Staudamm-Projekt. „Die Türkei wollte ein Stück Kurdistan zerstören und das zeige ich auch in meinem Film.“ Abdulas Dokumentation „There was a small town“ lief 2012 in der Short Film Corner auf dem Festival in Cannes. Im Jahr darauf war die Doku auf Festivals in Asien zu sehen. Sarwar Adula steht auf und legt Holz nach. „Es hat nichts geholfen. 2019 hat die Türkei die Region auf 240 Kilometern Länge geflutet und Hasankeyf ist untergegangen.“

Es fällt das Stichwort Rassismus. Wir schauen in die Flammen. „Rassimus gegen Kurden ist außerhalb der Autonomieregion, aus der ich stamme, weitverbreitet. Und als Christ stehst du sowieso auf Kriegsfuß mit den Islamisten.“ Die Kirchentür fällt mit einem lauten Knall zu und auf dem nahen Parkplatz starten Autos. „Der Montagschor“, sagt der Küster und nickt.„Aber ganz ehrlich. Schlimmen Rassismus habe ich in meiner ganzen Zeit hier in Leverkusen noch nicht erlebt.“ Das mag auch daran liegen, dass die Familie die meiste Zeit in Bergisch-Neukirchen verbracht hat. „Wir sind hier sehr freundlich aufgenommen worden und die Menschen hier sind sehr hilfsbereit. Umso schöner, dass ich das jetzt zurückgeben kann. Ich möchte den Menschen in der evangelischen Gemeinde helfen, ihnen eine schöne Zeit bereiten.“ In die Aufgabe als Küster kann er viele seiner Fähigkeiten einbringen. „In meiner Heimat habe ich nebenher als Elektriker, aber auch als Bäcker gearbeitet. Hauptberuflich war ich aber als Kameramann und Regisseur unterwegs. Außerdem habe ich meine Arbeiten und die anderer Filmemacher international auf Festival und in Kinos platziert.“

Sarwar Abdula gesteht ein wenig reumütig, dass die Arbeit rund um die Filmerei sein 24/7-Leben gewesen sei: „Ohne die Kamera bin ich nichts.“ Die Familie habe er lange Zeit vernachlässigt, so dass sein Frau oft sehr wütend auf ihn gewesen sei. In der Feuerschale stieben Funken auf. Wir schweigen. Nicht das erste Mal an diesem Abend. Was mache eigentlich ein Kameramann auf der Flucht, traue ich mich zu fragen. „Er filmt. Ich habe jeden Schritt mit dem iPhone dokumentiert.“ Die Flucht in die Türkei, die Fehlversuche nach Griechenland zu gelangen, der Weg zur bulgarischen Grenze. Dann verlangte der Schleuser, dass sie alle ihre Smartphones abgeben müssen. „Das war katastrophal. Meine selbstgestellte Aufgabe war beendet. Und mein ganzes Filmmaterial war von einem auf den anderen Moment weg. Aber es musste sein.“ Der Grenzübertritt gelang, aber die Familie saß dann 18 Tage im Gefängnis. „Das war die schlimmste Zeit meines Lebens. Eine Zelle für alle.“ Der Mensch hinterlässt eben nicht nur Fußabdrücke auf der Flucht: Auch Fingerabdrücke. So wie Familie Adula in Bulgarien. Dieser amtliche Akt sollte nach der Ankunft in Bottrop und später in Leverkusen für zwei Jahre die Integration der Familie in Deutschland blockieren. Erinnern wir uns. Da, wo die Flüchtenden registriert wurden, hätten sie auch einen Asylantrag stellen müssen. „Wir haben aber Bulgarien so schnell wie möglich verlassen. In diesem Land kann man nicht leben.“

Bevor das Feuer ausgeht, legt Sarwar Abdula noch einen Scheit auf. 2022 hat die Familie ihren Einbürgerungsantrag gestellt. Sie lebt seit 2016 hier in Leverkusen. Zwei Jahre hat es gedauert, bis die Familie einen Asylantrag stellen konnte. In der ersten Zeit war Sarwar Abdula zur Untätigkeit verdammt. Aber er erkundete auf einem geschenkten Fahrrad Leverkusen und die Ausläufer des Bergischen Lands. Um die Industrie habe er allerdings immer einen großen Bogen gemacht. Er habe sich auf das Schöne konzentrieren wollen, die Natur und die Jahreszeiten. Die Bilder im Kopf von diesen Erkundungstouren seien fest gespeichert. „Leverkusen ist eine ruhige Stadt. Sie ist schöner als viele denken und ich habe Stellen entdeckt, an denen es richtig romantisch ist.“
Seit geraumer Zeit verfüge er aber wieder über eine Kamera. Und die setzt er auch regelmäßig ein. So dokumentiert er nun das Leben seines Vorgängers, der 35 Jahre die Stelle des Küsters in der Gemeinde ausgeübt hat. „Ich nutze meine Freizeit für das Projekt und hoffe in einem Jahr fertig zu sein. Und außerdem arbeite ich mit Kollegen an einem Spielfilm: Road to Cannes.“ Das Feuer vor uns geht aus, aber der Mann neben mir scheint aufzuglühen. Der Filmenthusiast strahlt mich an. In diesem Moment läuten die Kirchenglocken. Das klingt wie Musik in den Ohren. Wir schauen uns in die Augen und geben uns die Hand.

Herzlichen Dank, Sarwar Abdula. Vielen Dank für Ihre Zeit.

Text & Foto © Hendrik Neubauer / Lust auf Leverkusen.

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