WIE GEHT´S, WIE STEHT´S?!
“Meine Frau und die zwei Jungs haben im Wagen gewartet und ich versuchte zum Lokal durch knietiefes Wasser vorzudringen.” Vor mir sitzen Adriana und Flávio Duarte. Das Ehepaar betreibt den angesagten „Spanier“ in Opladen und wir haben uns in ihrem Restaurant “Los Amigos” getroffen, um über die Flut zu sprechen. Wir erinnern uns an den 14. Juli 2021, als die Wupper große Teile Opladens und Schlebuschs unter Wasser setzte. Der Notstand war ausgebrochen. “Wir waren zu dem Zeitpunkt gar nicht in Leverkusen, es war unser letzter Urlaubstag. Als wir einen Tag später aus Mallorca kamen, war das Hochwasser schon auf dem Rückzug. Es war aber furchtbar.“ Im überfluteten Kreisel auf dem Berliner Platz standen verlassene Autos, die Düsseldorfer Straße versank im Matsch. „Ich habe die Tür des Lokals geöffnet und den ganzen Schlamm gesehen. Ich habe die Tür gleich wieder zugemacht. In dem Moment war nichts zu machen.“
“Wir hatten keine Tränen mehr”, sagt Adriana Duarte. Ich nippe an meinem doppelten Espresso. Wie viele Tränen mögen es gewesen sein, denn die Duartes hatten einen Anruf aus Opladen und einen Lagebericht bekommen. Der letzte Ferientag, die Familie war eben noch am Strand gewesen und dann die Nachricht, dass ihre Existenz gerade untergegangen war. “Wir haben schon viel erlebt, aber das war der absolute Tiefpunkt”, fährt Flavio Duarte fort. Viel Schlimmes erlebt? Adriana Duarte schaltet sich ein. “Ja, nachdem wir Ende 2017 Los Amigos übernommen hatten, verließ uns im nächsten Frühjahr der Koch und ich sagte zu meinem Mann, wir schaffen das. Er überlegte die Küche selber zu übernehmen und ich habe ihm gut zugeredet. Er hat den Job übernommen, ohne ihn gelernt zu haben, und jetzt gehört er zu den besten Männern am Grill in Leverkusen. Ja, er hat es geschafft.” Dann folgte aber der heiße Sommer 2018. “Das Los Amigos hat keine Terrasse, nicht einmal an der Straße können wir Tische aufstellen. Vor unserer Tür hält der Bus. Wir hatten in diesem Sommer kaum Gäste und das ohne Rücklagen. Wir haben aber die Zähne zusammengebissen und durchgehalten. Und wie gut, dass wir nicht in die Zukunft schauen können. Ich weiß nicht, was wir gemacht hätten, wenn uns jemand prophezeit hätte, dass unser Lokal am März 2020 über lange Zeiträume schließen wird.” 2019 sei ein gutes Jahr gewesen für Los Amigos, sonst hätten sie die Pandemie auch nicht überstehen können. „Es traf das ganze Land, nein, die ganze Welt. Wir haben alles richtig gemacht. Und es galten für alle die gleichen Regeln.“ Flavio Duarte legt eine Pause ein. „Das Hochwasser war etwas vollkommen Anderes. Da musste man erst einmal schauen, wie unser Vermieter versichert ist. Das hatten wir nicht in der Hand.”
Viele erinnern sich vielleicht noch an die gigantischen Müllberge in der Düsseldorfer Straße im Flutsommer 2021. Auf der Straße türmte sich braunverschmierte weiße Ware in den wolkenlosen blauen Himmel. Vor dem Karnevalsladen Deiters standen Container mit verschlammten Kostümen, Clownsmasken waren nur noch Fratzen und Cowboyhüte nur noch Fetzen. Alles musste raus aus den Lagern, Kellern, Geschäften, Wohnungen und auch dem Los Amigos. Und mit diesen Räumarbeiten schwappte eine Welle der Hilfsbereitschaft und der Solidarität über die Düsseldorfer Straße hinweg. “Über einen Facebook-Post ‚Los Amigos’ braucht Hilfe‘ standen auf einmal Massen von Leuten vor der Tür.“ Flávio Duarte nimmt einen großen Schluck Wasser und redet weiter. „Wir waren innerhalb von wenigen Stunden fertig. Wobei der Keller stand immer noch voll Wasser, da konnten wir erst später rein.” Nachbarn aus den umliegenden Straßen seien mit belegten Brötchen und Getränken vorbeigekommen. “Tja, das war doch eigentlich unser Job“, sagt Adriana Duarte. „Das war bitter und toll zugleich. Die Katastrophe ließ die Menschen nach Corona wieder enger zusammenrücken. Die Angst voreinander war auf einmal weg und die Menschen sind wieder zusammengekommen. Die Menschen waren füreinander da. Es war Wahnsinn, was so eine Katastrophe bewegen kann. Aber nicht jeder Mensch kann Hilfe auch wirklich annehmen.” Adriana Duarte schaut ihren Mann an und streichelt ihm über die Hand. “Sie müssen wissen, mein Mann ist sehr stolz.” Flávio Duarte lacht und sagt, er sei auf der Welle des Mitgefühls einfach mitgeschwommen. “Es ist schon komisch und wunderbar zugleich, wenn die Jungs von der Nordkurve mit schwerem Gerät vor der Tür stehen und mitanpacken.” Besonders sei ihm eine Szene in Erinnerung geblieben, als ein junger Mann mit einer Brechstange in den Händen die Düsseldorfer Straße heruntergekommen sein. “Ich konnte gar nicht anders, als ihn lautstark zu begrüßen: Mein Helfer.”
Nach der spontanen Hilfe kam das Warten auf Bescheide und das Ringen um Lösungen. „Wir haben nie daran gezweifelt, dass wir die Sanierung stemmen.“ Am 15. Oktober 2022 war es soweit, die Wiedereröffnung. Eigentlich erinnert nur noch die Leuchtreklame an die früheren Zeiten. Und wer beim Hereinkommen nach unten schaut, erkennt vielleicht die alte Türschwelle mit der Prägung „Los Amigos“. Aber hinter der Fassade herrscht keine rustikale Bodega-Atmosphäre mehr wie früher. Die Gäste nehmen Platz in einem gediegenen Raum im mediterranen Landhausstil. Ein Hingucker ist nach wie vor der Bartresen, der aber nun wesentlich präsenter daherkommt und den Raum teilt. „Auch Neugestaltung haben wir geschafft“ resümiert Adriana Duarte, die den Service leitet. „Essen gehen ist eine Reise. Der Gast kommt durch die Tür und ich begleite den Gast durch den Abend. Ich möchte, dass die Gäste Zeit haben und die Zeit bei uns genießen. Wer uns besucht hat, soll sich so fühlen, als hätte er einen Kurzurlaub in Spanien gehabt.“
Irgendwann im Gespräch ist der Satz gefallen: „Sommerloch, Corona, Flut. Wir sind zum dritten Mal aufgestanden.“ In mir bohrt seitdem die Frage: Wie schaffen Menschen es, solche Nackenschläge nicht nur zu überleben, sondern das Beste aus der Situation zu machen. Nun muss diese Frage raus. Die beiden schauen sich lange an. Es ist noch Spätsommer, die Tür des Lokals steht offen, Straßengeräusche dringen herein, ein Krankenwagen rauscht mit Blaulicht in Richtung Klinik. „Woher wir die Kraft nehmen? Aus uns.“ Adriana Duarte nimmt wieder einmal die Hand ihres Mannes. „Die Liebe gibt uns die Kraft.” Flavio Duarte schluckt und schaut seine Frau an. Sie wischt sich eine Träne aus dem Augenwinkel. „Am 13. April 2011 haben wir uns das erste Mal hier im Lokal gesehen. Meine Frau stammt aus Polen, ich komme aus Portugal. Hier haben wir uns kennen- und liebengelernt. 2014 haben wir geheiratet und dann wurden wir zweimal schwanger. Wir haben zwei wunderbare Söhne. Im Los Amigos schlägt das Herz unserer Familie. Aus diesem Grund haben wir auch nie darüber nachgedacht, den Namen zu ändern, nachdem wir das Restaurant übernommen haben.“ Adriana Duarte lächelt und sagt: „Eins hast du vergessen, wir beide lieben die spanische Lebensart.“ Sie haucht ihm einen Kuss auf die Wange.
Es wird Zeit zu gehen. Was soll ich sagen, beim Abschied fliegt mich der Beatles-Klassiker „All you need is love“ an. „There’s nothin’ you can do that can’t be done“. Beseelt trete ich über die Schwelle des Lokals auf die Düsseldorfer Straße. In dem Moment hält ein Bus vor dem „Los Amigos“ und ich steige ein.
Auf Wiedersehen, Adriana und Flávio Duarte. Herzlichen Dank für Ihre Zeit.
Text & Foto © Hendrik Neubauer / Lust auf Leverkusen.
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